Die Geschichte des Klavierbaus

Die Geschichte des Klavierbaues

Die ursprüngliche Bedeutung des Namens Klavier hat sich im englischen Keyboard noch erhalten, das wörtlich übersetzt Schlüsselbrett heißt und jede Art von Tastatur meint. Schlüssel, lat. clavis, waren in mittelalterlicher Buchstabennotation nämlich die Bezeichnungen der einzelnen Tonhöhen, und die wurden zur besseren Orientierung auf die Tasten geschrieben. Klavier bezeichnete ursprünglich also alles, was Tasten hatte, und schloß damit auch das Cembalo und die Orgel mit ein. Darum heißt eines der wichtigsten Werke Johann Sebastian Bachs Das wohltemperierte Clavier, obwohl es dem Cembalo (oder dem Klavichord) zugedacht ist.

Heute wird das Wort sehr oft zur Unterscheidung vom Flügel gebraucht, dient aber je nach Verwendung auch als Oberbegriff für beides, genauso wie das Wort Piano oder Pianoforte, das zu Beethovens Zeiten den Flügel oder das Tafelklavier bezeichnete, während das aufrechte Klavier, wie wir es heute kennen, erst nach Beethovens Tod allmählich in Gebrauch kam. Pianino, "Klavierchen" also oder "kleines Klavier", nannte man es, während man heute unter einem Kleinklavier Instrumente bis etwa 110 cm Höhe versteht.

Spricht man heute vom Klavier, so meint man immer das Hammerklavier oder den Hammerflügel, d.h. ein Instrument, dessen Töne dadurch erzeugt werden, daß Hämmer gegen die Saiten schlagen. Trotzdem benutzt heute niemand mehr das Wort Hammerklavier für unsere modernen Instrumente, denn diese Bezeichnung ist wiederum anders besetzt: Sie dient der Benennung historischer Instrumente aus der Zeit um 1800 und davor. Ausgerechnet jedoch Beethovens Hammerklavier-Sonate wird man darauf kaum angemessen spielen können, denn deren dynamische Anforderungen und die der späteren Romantik führten schließlich zur Weiterentwicklung und Vervollkommnung des Instruments, die erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen ist.

Die Vorläufer des Klaviers

Das Klavier gehört zu den Chordophonen (den Saitenklingern), und deren Geschichte läßt sich bis zu den Urvölkern zurückverfolgen. Über die ganze Welt verbreitet findet man z.B. den Musikbogen, der auf den Jagdbogen zurückgeht und heute noch in Amerika, Afrika und Indien anzutreffen ist. In der Antike ist das Monochord (der Einsaiter) nicht nur Musikinstrument, sondern auch Hilfsmittel der Wissenschaft: Pythagoras ermittelt mit ihm die Schwingungsverhältnisse verschiedener Tonabstände (bzw. der Verhältnisse von Saitenlängen, denn Frequenzwerte waren damals noch unbekannt). Das Hackbrett begegnet uns heute noch in ungarischer Volksmusik als Cymbal, und das Psalterium (griech. psallein = zupfen) kennen wir in der Volksmusik noch als Zither. Und als Vorbild für die Rahmenform des Klaviers kann man durchaus die Harfe ansehen (was sich allerdings durch die fortlaufende Verkürzung der Saiten zu den hohen Tönen hin von allein ergibt).

Diese Erscheinungsformen von gezupften oder angeschlagenen Saiteninstrumenten als Vorläufer des Klaviers anzusehen,wäre aber doch etwas weit hergeholt, und man darf als den eigentlichen Vorgänger wohl erst das Klavichord annehmen, dessen Erfinder nicht bekannt ist und das irgendwann zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert entstand.

Mit ihm hat das Klavier gemeinsam:

• Die Tonerzeugung geschieht durch Anschlagen der Saiten (nicht durch Anzupfen oder Streichen).

• Für jeden Ton ist - anders als bei Saiteninstrumenten wie Geige, Gitarre oder Mandoline - eine eigene Saite vorhanden (sofern es sich nicht um ein gebundenes Klavichord handelt, bei dem sich zwei Töne eine Saite teilen, was möglich ist, weil der Anschlagspunkt zugleich die schwingende Saitenlänge begrenzt, wodurch verschiedene Tasten auf derselben Saite verschiedene Tonhöhen hervorbringen können).

• Der Anschlag - und das ist die entscheidende Gemeinsamkeit - geschieht mit Hilfe einer Tastatur. (Orgeln gab es schon früher, aber sie sind erstens keine Saiteninstrumente, zweitens erzeugt nicht der Anschlag den Ton, sondern ein Gebläse, und die Tasten dienen nur dazu, den Luftstrom den entsprechenden Pfeifen zuzuführen.)

Tatsächlich jedoch hätte sich das Klavier aus dem Klavichord, das wegen seines bescheidenen Tonvolumens nur als häusliches Instrument geeignet war, allein wohl nicht entwickeln können, und de facto ist es denn auch in erster Linie aus dem Clavicymbal, ital. Clavicembalo, oder kurz: dem Cembalo, entstanden. Der Name zeigt, wie sehr die Begriffe verquickt sind, denn Klavierzymbel bedeutet eigentlich Tasten-Hackbrett, und diese Bezeichnung ist im Grunde falsch, denn beim Cembalo werden die Saiten nicht angeschlagen, sondern angezupft.

Das Cembalo ist neben der Orgel das wichtigste Tasteninstrument der Barockzeit. Es ist in zwei Bauformen in Gebrauch, nämlich als Kielflügel und als Spinett. Beide Bezeichnungen kennzeichnen das Wesentliche des Instruments: Die Saiten werden durch einen Federkiel angerissen (spina = Kiel, Dorn; spinetta ist die ital. Verkleinerungsform). In England heißt das Spinett Virginal (virga = Stöckchen, Docke - das ist das Teil der Spielmechanik, an dem der Kiel befestigt ist), und dort entsteht eine der wichtigsten Sammlungen früher Klaviermusik: The Fitzwilliam Virginal Book (s. daraus unter Noten: W. Byrd, "The Bells").

Der Unterschied zwischen dem Kielflügel und dem Spinett liegt in der Anordnung der Saiten, die beim Flügel von der Tastatur weg führen, beim Spinett parallel zur Tastatur verlaufen. Letzteres ermöglicht eine kompaktere Bauweise, so daß das Spinett das Hausmusikinstrument darstellt, das Cembalo das Konzertinstrument.

Dem Klavichord wie dem Cembalo verdanken wir eine Vielzahl von Klavierstücken, die noch heute musiziert werden. In erster Linie zu nennen ist hier das Klavierwerk Johann Sebastian Bachs. Seine Inventionen, vorzugsweise dem Klavichord zugedacht, gehören zu Recht immer noch zum festen Bestandteil des Unterrichtsrepertoires, ebenso sein Wohltemperiertes Klavier, dessen erstes Präludium (s. unter Noten) als eines der leichteren Unterrichtsstücke gleichermaßen bekannt wie beliebt geblieben ist:

Aus ihm macht später Charles Gounod sein berühmtes "Ave Maria", indem er auf kongeniale Weise über die präludierenden Akkorde Bachs eine getragene Melodie legt (s. unter Noten, dort in einer Bearbeitung für Violine und Klavier).

Seine wichtigste Rolle spielt das Cembalo im Barock als Instrument des Basso continuo (oder Generalbaß), der etwas Ähnliches darstellt wie die Rhythmus-Gruppe aus Klavier, Baß, Schlagzeug und Schlaggitarre im Jazz. Im Barock besteht diese kontinuierliche Begleitgruppe aus dem Cello (oder der Gambe) und dem Cembalo, die beide den Baßpart spielen, während die rechte Hand des Cembalisten dazu die Begleitakkorde improvisiert, denn wie beim Jazz sind die Begleitharmonien dabei nicht in Noten notiert, sondern in einer Kurzschreibweise, der Generalbaß-Bezifferung.

Allen Tasteninstrumenten des Barock haftet ein grundlegender Mangel an: Ihr Ton ist entweder gar nicht oder nicht genügend modulationsfähig, d.h. dynamische Unterschiede lassen sich beim Cembalo und bei der Orgel nur blockweise durch Registerwechsel und nicht bei jedem einzelnen Ton erzielen und beim Klavichord nur in sehr eingeschränktem Umfang. Diesen Mangel zu beheben, war mit den vorhandenen Möglichkeiten der Tonerzeugung nicht möglich, es bedurfte dazu einer neuen Konstruktion: der Hammermechanik. Mit ihrer Erfindung beginnt die eigentliche Entwicklung des Klaviers, und die wird zu einer Erfolgsgeschichte, wie sie vergleichbar selten ein Instrument erlebt hat.


Die Entwicklung des Klaviers

1709 gelingt in Florenz dem italienischen Cembalobauer Bartolomeo Cristofori die Konstruktion einer Hammermechanik, die den Bau des ersten Klaviers ermöglicht, das er Gravicembalo col Piano e forte nennt. Der Gedanke scheint in der Luft gelegen zu haben, denn in Frankreich fand der Clavecinbauer Jean Marius ebenfalls eine Lösung des Problems, und in Deutschland gelang dies dem Organisten Chr. Gottlieb Schröter, beiden aber erst einige Jahre später, so daß Cristofori die Priorität gebührt.

Bis sich das Instrument durchsetzt, sollen noch 50 Jahre vergehen, in denen deutsche Klavierbauer maßgeblichen Anteil an seiner Weiterentwicklung haben, unter ihnen der als Orgelbauer gerühmte Gottfried Silbermann (Freiberg i.Sa.).

1711 erfindet der englische Trompeter und Lautenist John Shaw die Stimmgabel - mehr als zwei Jahrhunderte lang wichtigstes und einziges akustisches Hilfsmittel nicht nur der Klavierstimmer.

1716 stellt der englische Mathematiker Taylor eine allgemeingültige Formel für die Berechnung der Frequenz einer Saite in Abhängigkeit von ihrer Länge, Masse und Spannung auf. Die Kenntnis der Taylorschen Formel ist später neben einigen anderen notwendigen
Kenntnissen Voraussetzung, um Klaviermensuren vorausberechnen zu können.

1728 wird in London der älteste, heute noch benutzte Markenname begründet: Broadwood, der lange europaweite Geltung behalten wird.

Um 1730 entwickelt der Engländer John Walsh eine Form des Notenstichs, die endlich flexibel genug ist, um auch kompliziertere Musik in typographisch einwandfreiem Satz wiederzugeben, was bei Klaviermusik mit mehreren Stimmen in einem Notensystem vorher fast nicht möglich war. Das Verfahren entwickelt sich zu einer Kunst, deren Beherrschung schließlich bis zu 10 Jahre Lehrzeit erfordert und die für heutige Verlage zeitlich zu aufwendig und damit zu teuer geworden ist. Der Notenstich befindet sich darum im Aussterben, mit dem Nachteil, daß auch die ästhetische Qualität des Notendrucks nachläßt, denn selbst bei renommierten Verlagen findet man heute Ausgaben, denen man so manchen Mangel des Computersatzes ansieht.

1742 - aus diesem Jahr stammt das älteste bekannte Tafelklavier, gebaut von Joh. Socher, Sonthofen. Bis dahin gibt es nur Flügel, die meist nur umgearbeitete Kielflügel darstellen. Wie beim Spinett laufen beim Tafelklavier die Saiten parallel zur Tastatur, wodurch deutlich kleinere Instrumente möglich werden, die zunächst aber auch von dementsprechend bescheidenen Ausdrucksmöglichkeiten sind. Das Tafelklavier, 100 Jahre lang in Europa bevorzugtes Instrument, wird vornehmlich in England weiterentwickelt, wo es square grand heißt und zu einem rechten Ungetüm wird; noch längerer Beliebtheit erfreut es sich in Amerika, dort sind bis zum Bürgerkrieg 97 Prozent aller hergestellten Klaviere Tafelklaviere.

1745 verwirklicht Christian Ernst Friederici in Gera als erster die Idee, das Klavier zur Platzersparnis aufrecht zu stellen, und baut einen nach oben gekippten, sehr hochragenden Flügel, den er Pyramide nennt. Weitere ähnliche Konstruktionen anderer Klavierbauer folgen und kommen durchaus in Gebrauch, doch sind diese etwa zwei Meter hohen Ungetüme vom modernen aufrechten Klavier noch weit entfernt.

1747 begutachtet Johann Sebastian Bach, der den ersten Hammerklavieren zunächst eher ablehnend gegenübersteht, auf Wunsch Friedrichs d. Gr. die Silbermannschen Klaviere im Potsdamer Schloß und äußert sich durchaus anerkennend. Bach stirbt 1750. Ob er die Darstellung seiner Kompositionen durch das Hammerklavier begrüßt hätte, muß Spekulation bleiben; ob er sie abgelehnt hätte, ebenso...

1767 wird das nun weiter entwickelte Tafelklavier in England als Begleitinstrument erstmals im Konzert eingesetzt.

1768 führt Johann Christian Bach, der "Londoner Bach" und Sohn Johann Sebastians, das Tafelklavier als Soloinstrument im Konzertsaal ein.

Bis ca. 1770 rechnen die Komponisten noch nicht mit dem Hammerklavier, sondern schreiben immer noch für das Cembalo oder für beides. Ein ausgesprochener Klavierstil und eine neue Spieltechnik entwickeln sich erst mit den Bachsöhnen Carl Philipp Emanuel Bach und Christian
Bach, mit Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Muzio Clementi, der sich später selber als Klavierbauer betätigen wird.1784 verkauft Broadwood immer noch 38 Cembalos gegenüber 133 Klavieren (Quelle: Broadwoods Website, auf der die Firmengeschichte nachzulesen ist; s. unter Links).

1774 führt John Joseph Merlin in England das Una-Corda-, bzw. Verschiebungs-Pedal ein, welches das Spielwerk so verschiebt, daß die Hämmer nur noch eine Saite (una corda) erfassen, um leiser spielen zu können. In dieser Zeit auch werden allmählich die Kniehebel, die bis dahin die Pedalfunktion erfüllten, durch Fußhebel ersetzt.

1772-1777 verbessern die Engländer Backers und Stodart die Anschlagsmechanik so, daß sie, einhergehend mit stärkeren Saiten, robuster und dynamisch ausdrucksfähig bis zum Wuchtigen wird. Diese sog. Englische Mechanik bildet schließlich die Grundlage des modernen Flügel-Spielwerks, obwohl viele Musiker zunächst noch die deutlich leichtgängigere Wiener Mechanik bevorzugen, die vor allem in Österreich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gebaut wird und beliebt bleibt.
(Die Wiener Mechanik ist eine sog. Prell-Mechanik, bei der die Hammerachse auf der beweglichen Taste gelagert ist, die Englische Mechanik eine Stößer-Mechanik, deren Prinzip schon Christofori angewandt hatte.) Seit Cristofori hat das Klavier nun an Volumen bereits deutlich zugenommen, die Saiten sind stärker, die Saitenspannung ist höher geworden, und der Tonumfang ist von anfänglich 4 auf 5 Oktaven erweitert.

1788 beginnt durch J. Broadwood eine gewisse Systematisierung der Saitenmensurierung, d.h. der Festlegung der Saitenmaße und der Anschlagsstellen. Es ist der erste Ansatz, dieses Gebiet auf wissenschaftliche Grundlagen zu stellen.

Um 1790 führt Erard in Paris den dreichörigen Saitenbezug ein, bei dem im Diskant und in der Mittellage für jeden Ton drei Saiten vorgesehen werden.

1793 stellt Broadwood sein letztes Cembalo her. Als Bach seit annähernd zwei Generationen, Mozart seit zwei Jahren tot ist und Beethoven bereits 23 Jahre alt, wird also immer noch Cembalo gespielt.

1794 geht der Tonumfang des Klaviers von C1 bis c'''' und ist damit auf 6 Oktaven erweitert.

1794 baut Johann Adolph Ibach in Beyenburg bei Wuppertal sein erstes Tafelklavier und begründet so die älteste heute noch bestehende Klavierfabrik, die sich immer noch in Familienbesitz befindet und immer noch selber in Deutschland produziert (und nicht, wie viele andere, nur unter dem Markennamen weiterlebt, längst in anderen Besitz übergegangen ist und die Produktion in asiatische Länder verlegt hat.)

1802 stellt Broadwood seine Klaviere erstmals mit Hilfe von Dampfmaschinen her. Aus Klaviermanufakturen werden so allmählich Industriebetriebe, die nun jährlich mehrere hundert Instrumente fertigen können, bei Broadwood sind es zwanzig Jahre später bereits 1500 im Jahr.

1804 wird der Tonumfang noch einmal vergößert und geht von C1 bis f''''.

1811 baut Robert Wornum in London sein Cottage Piano, das erste mit heutigen aufrechten Klavieren vergleichbare Instrument.

1816 läßt J. N. Mälzel sein Metronom patentieren, obwohl er die technische Lösung einem anderen verdankt, nämlich einem Amsterdamer Mechaniker namens Winkel. Sitzungsberichte der königlichen Akademie in Amsterdam belegen, daß Mälzel die Priorität Winkels zugestehen mußte. Trotzdem ziert seither die Angabe M.M., Mälzels Metronom, etliche Klaviernoten und gibt den Spielern das Tempo in Schlägen pro Minute vor (neudeutsch: bpm, beats per minute). Der erste, der von der neuen Möglichkeit absoluter Tempoangaben ausgiebig Gebrauch macht, ist Beethoven. Dessen Hammerklaviersonate erscheint 1820; das Werk gilt als unspielbar und wird erst Jahrzehnte später von Franz Liszt aufgeführt, mittlerweile gehört es zum Standardrepertoire mancher Spitzenpianisten. Die Metronom-Angaben, die Beethoven der Sonate beifügt, sind allerdings immer noch kaum realisierbar.

1817 geht am 27. Dezember ein Klavier in London auf Schiffsreise. Ein Vierteljahr später kommt es bei seinem Empfänger an: bei Beethoven in Wien. Broadwood macht dem schon fast ertaubten Beethoven damit ein Geschenk. Es ist nicht das erste und letzte, das ein prominenter Musiker erhält, denn mit illustren Namen für ihre Produkte zu werben, wird in der Klavierindustrie zu gern geübter Praxis. Allein Beethoven besitzt drei Flügel: einen aus dem Jahre 1803 von Erard, den Broadwood von 1817 und einen Graf-Flügel von 1825. Und im Hause Franz Liszts, auf der Altenburg bei Weimar, sah es 1861 aus wie in einer Klavierhandlung, dort stehen ein deutscher Bechstein, ein französicher Erard und Boisselot, ein Wiener Streicher und Bösendorfer und ein ungarischer Beregszay; fünfzehn Jahre später kommt auch noch ein Steinway hinzu, außerdem wird Liszt Besitzer des Beethovenschen Broadwood-Flügels von 1817. (Broadwood wirbt übrigens noch heute mit dem Dankesschreiben, das Beethoven 1818 schickte, Bösendorfer noch heute mit einem Dankesschreiben Eugene d'Alberts - beide nachzulesen auf den Websites von Broadwood und Bösendorfer, s. unter Links.)

1821 erfindet der Pariser Sebastian Erard die Repetitionsmechanik, deren Besonderheit darin besteht, daß die Taste nicht erst vollständig in die Ruhestellung zurückkehren muß, um erneut angeschlagen werden zu können, also wesentlich schnellere Tonwiederholungen erlaubt. Dabei geht es aber nicht nur um Geschwindigkeit, sondern darum, auch langsamere Tonwiederholungen, Triller und manch andere Spielfigur geschmeidiger werden zu lassen. Erards Erfindung verdrängt mit der Zeit alle anderen Mechanikbauweisen, aber das dauert noch ein wenig, denn noch 1867 kann man z.B. in Heinrich Welckers "Der Clavierbau" darüber lesen: "Man kann übrigens kaum begreifen, wie es möglich werden konnte, daß ein solches Machwerk, das weder Dauer noch Präzision in sich vereinigt, je Nachahmung fand. Die ganze Zusammenstellung zeigt, daß Herr Erard wenig Kopf für mechanische Einrichtung, wohl aber viel Geld für Lobredner hatte. "Die Technik bleibt den Flügeln vorbehalten und hat bis heute keinen Eingang in die Mechanik des aufrechten Klaviers gefunden (wo sie allerdings auch eher verzichtbar ist; Näheres s. unter Fachwissen: "Das Spielwerk von Pianos und Flügeln".)
Was in Schriften im Zusammenhang mit Erard und dem Klavier übrigens selten einmal erwähnt wird, ist, daß Erard mehr noch als am Klavier an der Harfe interessiert war: Die Mechanik der Pedalharfe ist seine Erfindung.

1823 erreicht der Tonumfang erstmals 85 Töne von A2 bis a''''. Dieser Umfang wird zum Standard, auch wenn man ihn später noch einmal um einige Töne erweitert.

1825 versieht A. Babcock, Boston, seine Tafelklaviere zum ersten Mal mit einem Eisenrahmen. Die zunehmende Saitenspannung, die ein immer größeres Tonvolumen ermöglichte, hatte vorher schon die Verwendung zusätzlicher Metallspreizen nötig gemacht, die ihren Zweck jedoch nur unzureichend erfüllten: Eine Klavierstimmung hielt bei starker Beanspruchung selten länger als eine Stunde, so daß während eines Konzertes mehrmals nachgestimmt werden mußte. Erst der Eisenrahmen machte die Konstruktion stabil genug.

1826 setzt Pape in Paris für die Hammerköpfe Filz ein anstelle des bis dahin üblichen Leders. Die Herstellung des Hammerkopffilzes wird im Laufe der Zeit zu einem Produktionszweig mit speziellem Know-How. Ebenso wird die klangliche Nachbearbeitung des Hammerfilzes, die sog. Intonation, die im fertigen Instrument vorgenommen wird, später zu einer Spezialtätigkeit der Klaviertechniker, die längst nicht jeder Stimmer beherrscht.

1826 entwickelt Wornum für sein upright piano eine verbesserte Mechanik, die schnell von anderen übernommen wird. Dies ist die Geburtsstunde des Pianino, des modernen aufrechten Klaviers. Es wird im Laufe des Jahrhunderts zum meistgebauten Tasteninstrument der Musikgeschichte.

1828, im Todesjahr Franz Schuberts, gründet Ignaz Bösendorfer in Wien seine Firma.

1833 veröffentlicht Frédéric Chopin als sein Opus 10 den ersten Band seiner Etüden (s. unter Noten). Ludwig Rellstab urteilt, "...daß, wer verrenkte Finger hat, sie an diesen Etüden vielleicht wieder ins Gerade bringt, wer nicht, sich aber sehr davor hüten und sie nicht spielen muß, ohne Herrn von Gräfe oder Diefenbach in der Nähe zu haben". Gräfe und Diefenbach sind zwei Berliner Ärzte, "die überhaupt, wenn diese Art Klavierspiel in Mode kommt, als Assistenten berühmter Klavierlehrer vielleicht eine ganz neue Praxis bekommen könnten. "Nicht nur im 19. Jh., sondern immer schon waren die Komponisten Klavierspieler. Chopin aber dürfte der einzige sein, der fast ausschließlich für das Klavier schreibt und, obwohl er keine Sinfonie, keine Oper oder sonst ein großes Werk hinterlassen hat, zu den bedeutendsten Schöpfern seiner Epoche zählt. Und das, obwohl seine Aktivität als Konzertpianist lächerlich gering ist:Er gibt in seinem ganzen Leben ungefähr so viele Konzerte wie Liszt in seiner besten Zeit in einem einzigen Monat.

1834 stellt Webster in Birmingham den ersten Gußstahldraht her, der den bisherigen Eisen- oder Messingdraht an Zugfestigkeit bei weitem übertrifft, Voraussetzung für die weitere Optimierung der Klaviersaiten. In den Jahren 1838 bis 1847 gibt Franz Liszt etwa dreitausend Konzerte in Europa. Er füllt die Säle wie nie ein einzelner Musiker vor ihm und erspielt sich ein Vermögen. "Ich bin in Mode... In 24 Stunden sind fünfzig Exemplare meines Porträts verkauft worden", schreibt er an Marie d'Agoult. Der Starkult ist ohne weiteres mit dem vergleichbar, den Popmusiker im 20. Jahrhundert auslösen: Auch bei Liszts Konzerten fallen begeisterte Damen bisweilen in Ohnmacht.

Um 1840 verbessert Henri Herz in Paris noch einmal die Flügelmechanik und gibt ihr, von unwesentlichen Änderungen abgesehen, die endgültige heutige Gestalt. Henri Herz war übrigens nicht nur Klavierbauer, sondern auch Pianist und Komponist. Und er war keineswegs das einzige Multitalent dieser drei Gebiete, denn dasselbe gilt für Clementi, Pleyel und Kalkbrenner.

Bis ca. 1850 zählt man im Klavierbau bereits mehr als tausend Patente. Ein Vielfaches wird später noch dazukommen. Vieles davon ist heute weitgehend vergessen, denn zu einem nicht geringen Teil ist die Patentsammlung ein Kabinett von Kuriositäten.

1853 gründen drei Klavierhersteller ihre Firma: Steinway in New York, Bechstein in Berlin und Blüthner in Leipzig. Drei der auch heute noch berühmtesten Marken sind also Kinder desselben Jahres. Allerdings ist dies nicht sonderlich erstaunlich, denn von folgenden Gründungen heute noch existierender Firmen fallen die meisten in die Zeit um 1850:

1828 Bösendorfer in Wien
1834 Thürmer in Meißen (heute in Bochum)
1835 Steinweg in Braunschweig (seit 1865 Grotrian-Steinweg, s.u.)
1845 Rönisch in Dresden (heute in Leipzig)
1846 Sauter in Spaichingen
1849 Seiler in Liegnitz (heute in Kitzingen)
1851 Feurich in Leipzig (heute in Gunzenhausen)
1852 Steingräber in Bayreuth
1853 Bechstein in Berlin
1853 Blüthner in Leipzig
1853 Steinway New York
1859 Förster in Löbau
1862 Pfeiffer in Stuttart
1862 Baldwin in Cicinnati/USA
1875 Euterpe in Berlin (heute bei Bechstein)
1880 Steinway Hamburg
1885 Schimmel bei Leipzig (heute in Braunschweig)

Henry Steinway war 1851 nach Amerika ausgewandert, 1865 folgt ihm sein Sohn Theodor und verkauft sein Geschäft in Braunschweig, wo die Familie sich noch Steinweg nannte, an drei seiner Angestellten, die dann als "Steinweg Nachf." firmieren, unter ihnen Wilhelm Grotrian. Über die Benutzung des Markennamens entbrennt zwischen beiden Firmen ein Rechtsstreit, der sich mehr als hundert Jahre hinziehen soll. Erst 1980, als der Familienbetrieb Steinway bereits von CBS übernommen worden ist, kommt es zu einer endgültigen
Einigung: In Europa darf Grotrian seine Klaviere als Grotrian-Steinweg verkaufen, außerhalb Europas nur als Grotrian.

1855 stellt Steinway in New York den kreuzsaitigen Bezug in Kombination mit gußeisernem Rahmen vor, was schließlich zur modernen Grundform des Klaviers wird. Steinway war nicht der erste, der damit experimentierte, jedoch der erste, der eine brauchbare Kreuzbesaitung für den Flügel schuf. Kreuzsaitig heißt die Anordnung deswegen, weil die Baßsaiten die Diskantsaiten überkreuzen. Das spart nicht nur Platz, sondern erlaubt auch längere Baßsaiten und führt durch günstigere Anordnung der Resonanzbodenstege zu besserem Schwingungsverhalten.

1856 erscheint in Warschau die bis dahin wohl erfolgreichste Klavierkomposition - erfolgreich sicherlich nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer musikalischen Dürftigkeit. Die Komponistin heißt Thekla Badarzewska-Baranowska, das "Werk" trägt den hintergründigen Titel Gebet einer Jungfrau und wirkt heute, als Inkarnation der Trivialität schlechthin, wie seine eigene Parodie. Ähnlich beliebt wurde vielleicht nur noch die Melodie in F von Anton Rubinstein, die wohl zu den populärsten Melodien der seichten Klassik gehört. (Beide Stücke s. unter Noten.)

1866 führt die sächsische Pianoforte-Fabrik Rönisch die Vollpanzerplatte für den Flügel ein. Gepanzert bedeutet, daß die Platte den Stimmstock, also das Brett, in dem die Wirbel zum Stimmen der Saiten sitzen, vollständig bedeckt. Rönischs Platte war stabiler als bisherige, und das Prinzip seiner Konstruktion wurde von allen Klavierbauern übernommen; es ist bis heute Standardbauweise.

Um 1870 hält durch die Arbeiten des Physikers Hermann von Helmholtz die Wissenschaft Einzug in den Klavierbau. Theodor Steinway arbeitet eng mit ihm zusammen, verwendet neue Methoden der Saitenberechnungen und entwickelt die sog. Duplex-Skala, bei der das tote Saitenende mitschwingt und wesentlich zur Brillanz des Klangs beiträgt. Die Erfindung ist nicht neu, schon 1822 hatte Collard, London, sie benutzt.Steinway entdeckt außerdem eine neue Legierung für die Eisenplatten, die doppelt so hart wie die herkömmliche ist, eine wesentlich niedrigere Eigenfrequenz hat und damit dem bis dahin zu blechernen Klang beikommt und etwa dem Dreifachen an Zugkraft standhält.

1874 gibt es bei Steinway den ersten Flügel mit drei Pedalen. Das dritte, mittlere Pedal hat eine ähnliche Funktion wie das rechte: Man kann damit die Töne weiterklingen lassen, ohne die Tasten gedrückt halten zu müssen. Im Gegensatz zum rechten wirkt es jedoch nur auf bereits angeschlagene, nicht auf alle Töne, und übernimmt dadurch sozusagen die Funktion einer dritten Hand. Es gibt in der Klaviermusik allerdings nur sehr wenige Stellen, wo man es anwenden könnte, so daß das dritte Pedal genauso oft unbenutzt bleibt wie die allerletzten Diskanttöne. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird in Einzelfällen an "Verbesserungen" der Tastenanordnung gearbeitet:

1874 gibt es eine Chromatische Klaviatur von Vincent, bei der konsequent jede zweite Taste eine schwarze Taste ist. Im Gegensatz zur herkömmlichen Anordnung, bei der sich zwischen den Tönen e-f und h-c keine schwarze Taste befindet, liegen dadurch die Töne f, g, a und h auf schwarzen, fis, gis, ais auf weißen Tasten.1882 baut Paul von Jankó eine Klaviatur, bei der sechs Terassen von Tasten ganztönig angeordnet sind.

1878 gibt es eine zweimanualige Tastatur von Mangeot, bei der auf dem oberen Manual die Töne in entgegensetzter Richtung angeordnet sind.Daneben gibt es Versuche mit verschiedenen Formgebungen, z.B. bogenförmigen Klaviaturen. Und es gibt Ansätze, das Klavier wie die Orgel zu einem Pedal-Instrument zu machen, Erard, Pleyel und Pfeiffer bauen Klaviere mit Pedal-Klaviaturen.

Da Standards sich nur schwer durchbrechen lassen, hat sich von all dem nichts durchgesetzt, und heute wird die Tradition der Spielereien und musikalisch wenig wertvollen Gimmicks auf andere Weise vornehmlich auf elektronischen Instrumenten fortgeführt.

1880 gründet die New Yorker Firma Steinway in Hamburg ein Zweigwerk. Dort entstehen noch heute die europäischen Steinway-Flügel.

1885 versucht die Stimm-Konferenz in Wien eine international genormte Tonhöhe einzuführen, und legt den Stimmton a' auf 435 Hz fest, dringend nötig, denn die Uneinheitlichkeit der Stimmungen führt zu vielen praktischen Problemen der Musiker wie der Instrumentenbauer und Stimmer. Doch auch nach dieser Konferenz steigt der Stimmton
weiter an und muß später noch einmal neu definiert werden.

1887 baut der japanische Uhrmacher Torakusu Yamaha sein erstes Musikinstrument, 1900 beginnt die Produktion von Klavieren,

1902 von Flügeln. Hundert Jahre später ist Yamaha der größte Klavierhersteller der Welt, baut in einer Woche so viele Klaviere wie Steinway in einem ganzen Jahr und fertigt mit jährlich 280.000 Instrumenten ein Drittel der Weltproduktion.Übrigens nicht nur Billig-Instrumente: Yamaha hat sich sehr um Zusammenarbeit mit Steinway bemüht und wollte in Japan die Steinway-Vertretung übernehmen. Als Steinway endgültig ablehnt, entschließt sich Yamaha, selber in den Konzertflügelmarkt einzusteigen. Der vielleicht genialste (mit Sicherheit umstrittenste) Pianist des
20. Jh., Glenn Gould, hat, seit sein Steinway bei einem Transport vom LKW fiel, seine Schallplattenaufnahmen nur noch auf einem Yamaha-Konzertflügel gemacht (u.a. seine legendäre zweite Einspielung der Goldberg-Variationen).

1890 entwickelt Blüthner sein Aliquot-System, bei dem im Diskant den jeweils drei Saiten pro Ton eine vierte hinzugefügt ist, die nicht angeschlagen wird, aber durch Resonanz mitschwingt - ein Prinzip, das andere schon bei alten Klavichorden angewandt hatten.

1891 ergänzt Steinway als erster die letzte Diskant-Oktave, so daß der Tonumfang nun von A2 bis zum c''''' reicht. Obwohl die letzten Töne noch nie jemand vermißt hatte, sahen sich alle Hersteller bemüßigt, dem Beispiel zu folgen. Seither besitzen alle Klaviere Töne, die niemand benutzt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bescheren drei Dinge dem Klavierabsatz einen bedeutenden Aufschwung:

• der Ragtime, der einen Klavierboom entfacht wie später der Rock'n roll einen Gitarrenboom - Scott Joplins Maple Leaf Rag wird die erste Notenausgabe, von der sich mehr als eine Million Exemplare verkaufen lassen;

• die Erfindung des mechanischen Klaviers, des Pianolas, das sozusagen die Musicbox dieser Zeit darstellt; um ca. 1920 sind in Amerika mehr als die Hälfte aller Instrumente mechanische Klaviere; und

• der Stummfilm, der den Pianisten ein neues Betätigungsfeld und den Klavierherstellern mit den Lichtspielhäusern einen
neuen Kundenkreis erschließt.

1899 stellt die amerikanische Aeolian Company das Pianola der Öffentlichkeit vor, dessen Entwicklung 1895 mit dem
Aeriol begonnen hatte. Zusätzlich zu mechanischen Klavieren gibt es den Automaten auch als Vorsatzgerät, mit dem jedes Klavier zum automatischen Instrument erweitert werden kann. Er funktioniert durch pneumatischen
Unterdruck, den Löcher in einer Papierrolle steuern; ähnlich wie bei den Lochkarten aus frühen Computer-Tagen sind auf ihr die Musikstücke als Lochmuster abgespeichert.
Weitere Hersteller folgen mit ähnlichen Vorrichtungen, bspw. der deutsche Klavierbauer Hupfeld mit dem Phonola.

1900 vergrößert Bösendorfer mit seinem Flügelmodell "Imperial" noch einmal den Tonumfang und erweitert ihn nach unten auf volle 8 Oktaven. Für Pianisten, die der Anblick zusätzlicher Baß-Tasten verwirrt, sieht man eine Blende vor, mit der man sie abdecken kann. Der "Imperial" bleibt mit 290 cm der längste moderne Flügel der Welt, bis die junge italienische Nobelfirma Fazioli einen noch größeren mit mehr als drei Metern Länge baut.

1904 stellt der Freiburger Orchestrion-Fabrikant Edwin Welte den Welte-Mignon-Flügel vor, mit dem das Spiel namhafter Pianisten auf Lochstreifen aufgezeichnet und mittels pneumatischer Mechanik auf einem Welte-Flügel wiedergegeben werden konnte. Noch heute sind viele Papierrollen erhalten, die auf restaurierten Flügeln abgespielt werden können, darunter Aufnahmen von Edvard Grieg, Richard Strauss, Claude Debussy und vielen anderen; ebenso viele wurden allerdings durch den zweiten Weltkrieg zerstört.

Um 1900 gibt es: in Einwohner Klavierfabriken
Paris 3,5 Mio. 50 (eine Fabrik pro 70.000 Einwohner)
London 7,0 Mio. 175 (eine Fabrik pro 40.000 Einwohner)
New York 3,7 Mio. 130 (eine Fabrik pro 28.000 Einwohner)
Berlin 2,0 Mio. 175 (eine Fabrik pro 11.000 Einwohner)

Auf jede Fabrik kommt ein Mehrfaches an Klavierhandlungen, und zu einem nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftszweig werden die Zulieferbetriebe: Allein mit der Herstellung von Klavierleuchtern kann man reich werden. Und ebenso üppig wie das Zubehör-Geschäft floriert der Verkauf von Noten.

In jedem Haushalt, der es sich leisten konnte, stand genauso selbstverständlich ein Klavier, wie heute in jedem ein Fernsehgerät steht. Wie hätte man sich bis dahin auch anders die Musik ins Haus holen können? Und das Klavier war (und ist bis heute), das Musikinstrument, mit dem man sich jede Art von Musik ins Haus holen kann, denn nur mit ihm läßt sich der gesamte Tonbereich aller Instrumente wiedergeben. Und am Ende des 19. Jahrhunderts gibt es eben andere Wiedergabegeräte noch nicht.

Nach 1920 kehrt sich diese Entwicklung um, denn nun zieht das Grammophon, bereits 1877 von Thomas A. Edison erfunden, in die Häuser ein. Das mechanische Klavier wird überflüssig, und um Musik hören zu können, bedarf es nicht mehr der persönlichen Anwesenheit von musizierenden Menschen.
Doch der negative Trend nimmt bald wieder eine andere Richtung, nicht zuletzt dank eines moderneren Klavierunterrichts, der das Musizieren in den Vordergrund vor das von der Musik losgelöste Tonleiter-Studium stellt, und dank der Einsicht, daß musikalische Bildung Charakterbildung ist und praktisches Musizieren nicht durch Grammophon-Hören ersetzt werden kann. 1939 berichtet das amerikanische Magazin Fortune, daß mehr Kinder Klavierunterricht hätten als je zuvor in der Geschichte.

Zwischen zeitgenössischer Kunstmusik und Musik, die bei vielen Menschen populär ist, entwickelt sich zu Anfang des 20. Jahrhunderts eine Schere, die heute immer noch weiter auseinander zu gehen droht: Die Popularmusik wird immer platter und dilettantischer, die Kunstmusik immer abgehobener und betriebsblinder.
Zeichen dafür ist z.B. die Entwicklung des Viertelton-Klaviers, das 1924 von Förster und 1925 von Grotrian-Steinweg vorgestellt wird. Försters Lösung benutzt dafür zwei übereinanderliegende Klaviaturen, Grotrian eine zwanzigstufige Tastatur. Heute steht das einzige erhaltene Exemplar eines Vierteltonflügels im Prager Nationalmuseum.
Neben der Vierteltönigkeit wird mit noch kleineren Unterteilungen experimentiert, nämlich mit Sechstel-, Zwölftel- und Sechzehntelton-Musik, und noch 1958 verwirklicht Sauter ein Sechzehntelton-Klavier, das mit 97 Tasten mehr Töne hat als ein herkömmliches Instrument, aber lediglich den Tonumfang einer Spielzeugflöte, nämlich eine Oktave; es wird auf Anfrage auch heute noch gebaut.
Die Ideen zu solch neuen Tonsystemen entstehen in derselben Zeit, nämlich ab 1921, in der Schönberg beginnt, konsequent dodekaphonisch zu komponieren (ZWÖLF-tönig, nicht ZWÖLFTEL-tönig, sondern mit unserer herkömmlichen HALB-tönigen Skala, die aus zwölf chromatischen Schritten pro Oktave besteht); zwar hatte er bereits vorher frei atonal geschrieben, das strenge Regelwerk der Dodekaphonie aber dann erst konsequent angewandt.
Schönbergs Versuch, die Musik zu modernisieren und aus ihrer spätromantischen Sackgasse herauszuführen, ist einer der aufrichtigsten und ehrenwertesten der Musikgeschichte. Aber alle diese Versuche führen letzlich in eine neue Sackgasse, denn außer einigen wenigen Intellektuellen erscheint diese Musik selten jemandem genießbar.

Ab ca. 1930 beginnt die Entwicklung erster elektronischer Tasten-Instrumente, z.B. mit dem Neo-Bechstein-Flügel und mit Försters Elektrochord, bei denen die Saitenschwingungen elektromagnetisch abgenommen werden. 1935 baut Laurens Hammond, ein Fabrikant elektrischer Uhren aus Chicago, die erste Hammond-Orgel, sie wird bis in die 60er Jahre beliebtes Unterhaltungsinstrument. 1959 entwickelt Yamaha seine erste elektronische Orgel, Electone genannt. Später kommen Synthesizer und Sample-Player hinzu. Der heutige Stand der zunehmenden Elektronisierung und Digitalisierung ist, daß es nicht einmal mehr einer Klaviatur bedarf, denn auch wer noch nie eine Note gemalt und nie gelernt hat, einen sauberen Satz per Hand zu schreiben, kann Musik dank MIDI, Sequenzer-Programmen, Klangsynthetisierung und Sample-Bibliotheken am Computer mit der Maus zusammenklicken.

1935 baut die Haddorf Piano Company ein Klavier, das mit 114 cm Höhe kleiner ist als alle bisherigen Instrumente. Es ist die Geburtsstunde des modernen Kleinklaviers, das nicht nur eleganter ist, sondern auch um ca. ein Viertel billiger. Die anderen Hersteller greifen die Idee schnell auf, nur die Klavierstimmer sind vielerorts nicht begeistert, denn die kürzeren Baßsaiten erzeugen unsauberere Töne und sind schwer stimmbar, weshalb sich manche weigern, solche Instrumente überhaupt zu betreuen. Verbesserungen bei der Berechnung der Saitenmensuren haben dieses Problem mittlerweile gemildert.

1939 einigt sich die Londoner Konferenz der International Federation of the National Standardizing Associations auf eine internationale Stimmtonhöhe von a' = 440 Hz. Die ist bis heute Standard, wird aber immer noch nicht überall eingehalten.

Die Wirren des zweiten Weltkrieges verstricken auch die Klavierhersteller in die Machenschaften der Politik. So muß die deutsche Niederlassung von Steinway für das NS-Regime Flugzeugattrappen, Stockbetten und aus kostbaren Rotbuchen-Vorräten Gewehrschäfte bauen, während die Mutterfirma in New York sich mit dem Bau von Lastenseglern für das Militär über Wasser hält. Ein und dieselbe Firma beliefert so zwei einander feindliche Seiten.

Um 1960 scheitert der Versuch, im Klavierbau neue Materialien einzusetzen: Steinway ersetzt die herkömmlichen Achslager durch Buchsen aus Polytetrafluoräthylen, das für die Weltraumforschung entwickelte Teflon der Chemiefirma DuPont, das hohe Reibungsfreiheit mit weitgehender Feuchtigkeitsunempfindlichkeit verbindet. Das Holz jedoch, in das die Buchsen eingesetzt werden, bleibt weiterhin feuchtigkeitsempfindlich, so daß bei Regenwetter die Achsen klemmen, häufiger als beim herkömmlichen flexibleren Filz-Lager, und bei Trockenheit sich die Buchsen lösen und klappern. Reumütig kehrt Steinway zum Filztuch als Achslager zurück.

1971 verfaßt der Europa-Rat eine Resolution, in der sich alle Länder verpflichten, die Stimmtonhöhe einzuhalten und besser ins allgemeine Bewußtsein zu tragen, z.B. indem für Telefon-Freizeichen ein 440-Hz-Ton verwendet wird. 90 Jahre nach der Wiener Stimmkonferenz und 30 Jahre nach der Londoner Konferenz der ISA hält man das immer noch für nötig; wohl nicht ganz ohne Grund, denn auch heute wird diese Norm nicht zuverlässig eingehalten und die Stimmtonhöhe meistens überschritten.

1981 - in einer Zeit, in der man wohl eher von Konsolidierung des Klaviermarktes als von Gründerepoche sprechen kann - wagt Paolo Fazioli die Eröffnung einer neuen Klavierfabrik in Sacile bei Venedig. Fazioli stellt mit seinem Team allerdings keine Allerweltsware her, sondern reiht sich von Beginn an in die Liste der weltweit vier bis fünf Spitzenhersteller ein.

1983 wird auf der NAMM-Show in den USA das Musical Instrument Digital Interface vorgestellt, mit dem sich elektronische Tasteninstrumente vernetzen lassen. Die Weiterentwicklung führt zu Sample-Playern und Digitalpianos, die sich heute auch die Klavierhersteller zunutze machen. Fast jeder nämlich bietet mitlerweile Klaviere an, die zwischen digitaler und akustischer Tonerzeugung umschaltbar sind, so daß ein Musizierender auf Kopfhörer-Wiedergabe ausweichen kann, um die Nachbarn nicht zu stören. Allerdings muß er dann auf den realen Klang eines akustischen Instruments verzichten, der durch Digitalpianos nicht ersetzbar ist.

1986 stellt Bösendorfer einen Computer-Flügel vor (Modellbezeichnung 290SE), der sozusagen die Idee des Welte-Flügels wieder aufgreift: Das Spiel eines Pianisten wird an den Tasten durch Sensoren abgegriffen, elektronisch abgespeichert und kann jederzeit mit demselben Flügel genauso wiedergegeben werden, wie es eingespielt wurde, dank technischen Fortschritts und Computer wesentlich genauer, als das mit dem Welte-Flügel möglich war. Nach dem elektrischen Klavier, nach dem Welte-Flügel und nach der Einführung von MIDI, das auch nur Tastenbefehle aufzeichnet und keine Audio-Daten, ist damit zum vierten Mal das automatische Klavier erfunden, diesmal in einer High-End-Version, die kaum noch Wünsche offen läßt (außer dem, es auch bezahlen zu können).

1987 stellt Fazioli den mit 308 cm Länge größten modernen Konzertflügel der Welt vor.

1999 beweist der australische Klavierbauer Ron Overs, daß das Instrument entgegen landläufiger Meinung doch noch nicht zuende entwickelt ist und immer noch verbesserungsfähig: Er läßt eine Flügelmechanik patentieren, bei der Form und Anordnung der beweglichen Teile so optimiert sind, daß die Reibung auf mehr als die Hälfte üblicher Mechaniken sinkt.

2000 übernimmt die British Piano Manufacturing Company die Prodution der englischen Klaviermarken Broadwood, Bentley, Knight, Welmar u.a. und verlagert die Fertigung nach Stroud, Gloucester. Damit besitzt London, einst eines der Zentren des europäischen Klavierbaus, keine Klavierfabrik mehr. 2003 muß auch die British Piano Manufacturing Company Konkurs anmelden und wird von der Inter Music, Pool Dorset, übernommen, die die Produktion in fernöstliche Länder verlegt.

2002 stellt ein Klavierbauer aus Bamberg, Josef Meingast, in Zusammenarbeit mit Steingräber die sog. Bamberger Rolle vor, eine Verbesserung der Hammerrolle (auch Röllchen genannt) des Flügels, der z.B. die Süddeutsche Zeitung in einem langen Artikel Beachtung schenkt, da sie angeblich das Klavierspiel "revolutionieren" soll.
Die Hammerrolle ist beim Flügel das Teil des Hammers, an dem der sog. Stößer angreift, um den Hammer anzutreiben und gegen die Saite zu schleudern. Zwischen Hammerrolle und Stößer entsteht sehr viel Reibung. Meingasts Entwicklung setzt diese Gleitreibung in Rollreibung um, indem die bisher starre Rolle drehbar gestaltet wird. Damit scheint im Klavierbau sozusagen endlich das Rad erfunden. In Wahrheit ist die Idee alt, denn in einer Patentschrift von 1886 stattet bereits W. Neuhaus, Berlin, den Stößer des Klaviers (seltsamerweise nicht des Flügels) mit einer drehbaren Gummiwalze aus.

Meingasts Entwicklung ist eine von manch anderen Speziallösungen und Patenten verschiedener Firmen. So versucht bspw. Sauter die Repetition des Klaviers zu verbessern durch seine R2-Mechanik, bei der eine zusätzliche Feder für schnelleren erneuten Anschlag sorgen soll; Seiler bemüht sich um ähnliches durch die sog. Super Magnet Repetition, die Federn durch Ferrit-Magnete ergänzt; die italienische Firma Schroeder & Sons besitzt zu demselben Zweck ein eigenes Mechanik-Patent.

2005 gibt es bei Sauter erstmals eine Titan-Duplex genannte Erfindung: Die Plattenstege, die bei Flügeln die Länge der mitschwingenden Duplex-Enden begrenzen, werden aus Titan gefertigt und nicht mehr fest in die Platte integriert, sondern justierbar gestaltet, was es ermöglichen soll, den mitschwingenden Ton besser abzustimmen.

2010 Europa Piano Fabrik präsentiert einen Flügel auf dem die Musikwelt gewartet hat. Ein Klavier, bei dem Design keine Frage des Geschmackes und des Preis sein wird. Mit Extras, die bei anderen Klaviererzeugern nicht mit Aufpreis zu haben sind. Für Pianisten, die sowohl bei Studio- sowie Live- Veranstaltungen ein Instrument benötigen ohne auf beste Qualität und Technik kommpromisse eingehen möchten. Ein Musikinstrument, bei dem es möglich ist, es auch ohne grosse Transportunternehmen vor Ort zu bringen.

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